Erdbeben 1953
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Das Erdbeben in Widdershausen im Jahre 1953
Ein Ereignis im Jahre 1953 hat die Bewohner im Werratal besonders aufgeschreckt. Am 22. Februar jenes Jahres erschütterte ein Erdbeben dieses Gebiet, das immerhin die Stärke 5,3 erreichte. Es hatte somit etwa die gleiche Stärke wie das Erdbeben in San Francisco im Jahre 1992. Die Häuser wackelten so stark, dass die Lampen an den Decken hin und her schaukelten und sich die Schranktüren öffneten. Alle Bewohner rannten aus den Häusern und standen aufgeregt und ängstlich auf der Strasse, die verschiedensten Parolen machten die Runde. So vermutete man, dass an der Zonengrenze Sprengungen ausgelöst wurden, andere glaubten, dass ein Munitionsbunker in der Grube des Werkes Wintershall explodiert sein könnte.
Entgleister Personenzug mit Schachtarbeitern zwischen Widdershausen und dem Kaliwerk Wintershall, 1953
Das Erdbeben hätte verheerende Folgen für die in Heringen arbeitenden Menschen gehabt, wenn es zu einem Zeitpunkt eingetreten wäre, zu dem sich Bergleute in der Grube Wintershall untertage befanden. Durch das Erdbeben ist ein großer Teil des Nordfeldes, das Abbaufeld Strecke 38, zu Bruch gegangen. Dieses Abbaufeld war zu jener Zeit das Hauptgewinnungsfeld, in dem der größte Teil des geförderten Kalisalzes abgebaut wurde.
Der Grubenbetrieb war bereits in jener Zeit rund um die Uhr und auch an Wochenenden belegt. Es wurde zwar nur in zwei Schichten gefördert, doch mußten während der Nachtschichten und an Sonntagen Reparaturarbeiten durchgeführt werden. Am Sonntag, dem 22. Februar 1953, war abends gegen 21:15 die Mittagsschicht bereits ausgefahren.
Riesige Erdrisse in der Widdershäuser Flur am 23. Februar 1953.
Was war geschehen? Infolge des Erdbebens war das Deckgebirge über dem Grubenfeld 38 schlagartig abgesunken, da die stehengebliebenen Stützpfeiler aus Carnallit zerborsten waren. Durch das abgesunkene Hangende wurde der Hohlraum untertage wesentlich verringert. Die dadurch verdrängte Luft entwich unter Getöse durch die Schächte. Untertage war das Abbaufeld 38 zu einem Bruchfeld geworden, ein weiterer Abbau war hier nicht möglich. Viele Bergwerksmaschinen waren zerstört, bzw. begraben. Welch glückliche Fügung war es, daß der Zeitpunkt des Erdbebens genau in den wenigen Minuten lag, in denen sich kein Bergmann untertage befand. Und auch diese wenigen belegungsfreien Minuten hatten sich nur ergeben, weil sich ein Mitarbeiter der Nachtschicht verspätet hatte. Dieser hatte die Nachtschicht vergessen und schwang in der Gastwirtschaft „Zur Post“ kräftig das Tanzbein. Ansonsten befanden sich immer Bergleute untertage.
Erdrisse in der Widdershäuser Flur am 23. Februar 1953.
Aber nicht nur die Bergleute blieben dank einer glücklichen Fügung vor Schaden bewahrt, auch das Bergwerk selbst blieb, abgesehen von dem Abbaufeld 38, voll intakt. Insbesondere traten trotz der Rißbildungen im Buntsandstein, der über unserer Lagerstätte liegt, keine Wasserzuflüsse auf. Hier liegt der beste Beweis dafür vor, daß die wasserdichten Tonschichten, die über unserer Lagerstätte liegen und diese vor Wasser schützen, auch in einem solchen Extremfall ihre Dichtfunktion voll erfüllen. Die Grube blieb vor dem Absaufen bewahrt.
Schon nach wenigen Tagen konnte der Gewinnungs- und Förderbefrieb wieder aufgenommen werden.
Verantwortlich für diesen Gebirgsschlag war die falsche Berechnung bzw. die Unterdimensionierung der Stützpfeiler zwischen den Abbaukammern zu jener Zeit. In unserem heutigen modernen Bergbau wird inzwischen seit mehreren Jahrzehnten Vorsorge getroffen, daß sich ein solches Ereignis nicht wiederholen kann. Alle Stützpfeiler werden seit mehr als 30 Jahren mit 3- bis 4-facher Sicherheit bemessen.
Erdrisse sind in der gesamten Widderhäuser Flur zu finden
Einer der Verletzten war ein Lokomotivführer des ersten Zuges am Montagmorgen, der mit einem leeren Personenzug nach Widdershausen fuhr, um die dortigen Bergleute zur Schicht abzuholen. Durch die Geländeabsenkungen hatten sich die Geleise verworfen und der Zug entgleiste. Der Lokführer erlitt dabei einen Schock.
Übertage hatte es in der damals noch selbstständigen Gemeinde Widdershausen erhebliche Senkungen der Erdoberfläche gegeben, die im Bereich der Straße von Heringen nach Widdershausen mehr als 2 m betrugen. In der Feldmark zwischen Widdershausen und der Hornungskuppe waren bis 2 m breite Risse im Boden entstanden und ein Zollbeamter hatte sich eine Beinfraktur zugezogen, als er durch das Aufreissen des Geländes in die Luft geschleudert worden war. Einige Wege in den Feldfluren waren unbenutzbar geworden. Jahrelang wurden die Kinder vor den tiefen Erdrissen in der Widdershäuser Flur gewarnt. Man befürchtete, dass infolge der Absenkung das Werrawasser in die Grube eindringen könnte.
Eine Reihe von Häusern in Widdershausen war eingestürzt bzw. anderweitig zerstört. Vier Häuser wurden so stark in Mitleidenschaft gezogen, daß sie neu erbaut werden mußten. Auch die alte Schule hatte starke Schäden erlitten, und selbst auf dem Friedhof waren die Spuren des Bebens deutlich: Zahlreiche Grabsteine waren gekippt.
Insgesamt entstand ein Schaden von etwa drei Millionen Mark, was für die damalige Zeit eine enorme Summe darstellte.
Erdrisse in der Widdershäuser Flur am 23. Februar 1953, hier im Hittgersloch mit Familie Jordan/Körtzel
Am 22.02.1953 gegen 21:30 Uhr wurde die Grubenwehr des Werkes Wintershall alarmiert, 2 Gruppen versammelten sich um 22:00 im Grubenrettungsraum über Tage. Wegen des hohen Druckes im Schachtgebäude war man aber zum Warten verurteilt. Gegen Mitternacht ließ der Luftdruck aus dem Schacht nach, so daß nach dem Wegschippen der Salzmassen die Tore des Schachtgebäudes geöffnet werden konnten. Inzwischen waren von der Zentrale die Stromversorgung für das Grubenfeld eingeschaltet und die Körbe der Gestellförderung in Gang gesetzt worden. Der östliche Förderkorb fuhr, mit einer brennenden Grubensicherheitslampe versehen, langsam in den Schacht ein.
DieserVorgang wiederholte sich dreimal, wobei die Lampe nach jedem Zug erloschen war. Man schloß daraus, daß mit CO² -Gas gerechnet werden mußte.
Die erste Grubenwehrtruppe erhielt den Auftrag, mit angelegtem Dräger-Kreislaufgerät einzufahren. Der Auftrag lautete, in langsamer Fahrt einzufahren, damit bei Gefahr der Schachthammer bedient werden konnte, der die einzige Verbindung mit der Ackersohle war. Nach Eintreffen im Füllort sollte sofort per Schachttelefon die Verbindung nach oben hergestellt und Lagebericht erstattet werden.
Die nervliche Anspannung der Grubenwehrleute im engen Förderkorb nahm von Meter zu Meter zu, denn im Schacht war ein ständiges lautes Krachen zu hören. Nach unendlich lang erscheinender Fahrt erreichte man das im Dunkel liegende Füllort. Wie befreit rannten die Grubenwehrleute in Richtung der elektrischen Schaltstation um das Grubenfeld zu beleuchten, und stellten fest, daß sich der Schalter der Strecke 38 nicht einschalten ließ.
Die Wetter im Schacht waren CO² gasfrei. Da der Schwerpunkt der Katastrophe im Revier 3 liegen mußte, erhielten der Trupp den Auftrag, den dortigen Raum zu erkunden, wobei ausdrücklich angeordnet wurde, die Atmungsgeräte anzulegen und kontinuierlich Wetterproben vorzunehmen.
Das zerstörte Wohnhaus der Familie Georg Trieschmann in Widdershausen nach dem Beben 1953
Im Revier 3, Strecke 38, bestand noch Kleinwagenförderung und eine Fahrbahn für Kraftfahrzeuge bestand nicht. Eine Befahrung war also nur mit Fahrrad oder Motorrad möglich. Die Strecke wies ein bis zu 15 m mächtiges carnallitisches Lager auf, das fast abgebaut war. Hier war durch das Erdbeben ein Bruch von etwa 1 km² entstanden, als die Streckenpfeiler in dem sehr weichen Salz gebrochen waren.
Die Kleinwagen, ob voll oder leer, waren wie Spielzeuge in den Stoß geschleudert worden. Die Wettermauern und Brücken waren weggefegt worden und lagen im Fahrweg. Das schwere Schachtgerüst des Gesenkes mit den Seilscheiben war restlos zerstört. Das Krachen und Donnern im Gebirge nahm immer mehr zu, und als der Trupp aus der östlichen Hauptstrecke nach Norden in die Strecke 38 abbog, gelangte er nach etwa 400-500 m an das Bruchgebiet, wo das Donnern unerträglich wurde, so daß ein schneller Rückzug nötig war. Die Wetter waren gasfrei und stellten keine Gefahr dar.
Es war ca. 3 Uhr, als der Trupp am Schacht ankam. Nachdem der Reviersteiger Siegel der Einsatzleitung telefonisch einen ausführlichen Bericht erstattet hatte, bekam die Gruppe den Auftrag, mit dem Kraftfahrzeug die Strecke 62 bis zur 2. Abteilung zu befahren, um den dortigen Sprengstoffraum zu kontrollieren. Man hielt das für nötig, weil von hier eine direkte Verbindung zur Strecke 38 bestand.
Die Förderung in der Strecke 62 erfolgte durch Großraumförderwagen mittels Seilbahn. Auch hier waren die Wagen wild durcheinander geschoben und zum Teil schrottreif. Mit großen Schwierigkeiten, bedingt durch die zerstörten Wettereinrichtungen, erreichten sie das Ziel. Der Sprengstoffraum war unversehrt, aber der dahinterliegende Wetterverschlag war total zerstört. Hundemüde erreichten die Grubenwehrleute gegen 4 Uhr den Schacht und fuhren nach Rückmeldung aus.
Quellen: Norbert Deisenroth , Schicksalstage des Werkes Wintershall mit glücklichem Ausgang, Mitteilungen des Förderkreises Werra-Kalibergbau-Museum e.V., Heringen August 1998
Hans Jahnke , So habe ich das Erdbeben im Jahre 1953 erlebt, Mitteilungen des Förderkreises Werra-Kalibergbau-Museum e.V., Heringen Juli 1999