Tanzbären
Dorfleben
Tanzbär - Illustration um 1810
Zigeunerlager mit Tanzbär
Fahrendes Volk: Zigeuner - Schausteller - Bärenführer
Sie kamen früher oft ins Dorf. Für meinen Großvater Nikolaus Trieschmann gehörte ihr Kommen und Gehen zu den besonderen Ereignissen. Die Zigeuner ließen ihre Wagen vor dem Dorf auf einer Wiese stehen und kamen immer zu Fuß in die Dorfmitte zur Linde. Ihre dunkelhaarigen und dunkelhäutigen Kinder mit den schönen großen Augen und den bunten Kleidern besuchten manchmal für einige Tage die Widdershäuser Schule. Sie brachten Heftchen mit, in dem der Lehrer Brandau den Schulbesuch quittierte. Die Kinder wurden einerseits um ihre Freiheit beneidet man bedauerte sie andererseits wegen ihrer Heimatlosigkeit. Die Dorfkinder hielten Abstand, auch weil man ihnen sagte, daß sie nicht ganz koscher seien. Zigeunermänner ließen sich selten im Dorf blicken, die Zigeunerfrauen um so mehr. Diese bettelten oder wollten Spitzen und dergleichen verkaufen. Sie waren gefürchtet, weil sie sich darauf verstanden, Hühner zu fangen oder auch Wäsche von der Leine mitgehen zu lassen.
Tanzbären in der Seestraße in Gelnhausen um 1910
Wenn Bärenführer (abhängig von Sprache und Region werden diese als Medvedara, Rickara, Ursari, Mechkara oder Ayjides bezeichnet) mit Tanzbären ins Dorf kamen, war unter der Linde ein großer Auflauf. Wenn das Tambourin erklang, das meist von Frauen geschlagen wurde, tanzten die Bären aufrecht, dabei wurden die Bären von einem Zigeuner an einer Kette festgehalten. Oft befand sich ein Äffchen in Begleitung der Tambourspieler.
Das Ganze diente zur Unterhaltung und Belustigung der Bevölkerung und die Bärenführer verdienten ihren Lebensunterhalt damit. Dressiert wurden die Bären, indem Sie auf glühenden Holzscheiten o.ä. stehen mussten und die Melodie dazu gespielt wurde. Die hilflosen Bewegungen, die eigentlich zur Schmerzvermeidung dienten, wurden dabei der Melodie zugeordnet und die Bären "tanzten" irgendwann auch ohne Schmerzen. Verstärkt wurde das Verhalten auch mit Belohnungen wie Alkohol oder zuckerhaltigen Leckerbissen. Viele Bären werden deshalb wohl unter Alkoholismus und Zahnfäule gelitten haben. Möglich war das Ganze auch dadurch, dass die Bären an einem Nasenring geführt wurden. Hier ist ein Bär sehr schmerzempfindlich und kann leicht dirgiert werden.
Tanzbär mit Reisigbesen in Gelnhausen-Roth 1927
Bis in die Zwischenkriegszeit zeigten sie ihre Darbietungen auch in westeuropäischen Städten. Tierschutzvereine erhoben jedoch vermehrt Einspruch gegen die Dressur. In Deutschland wurde das Führen von Bären bereits in den 1920er Jahren als Tierquälerei verboten.
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählten Unterhaltungskünstler zu den Hauptträgern der Populärkultur. Trotzdem konnten sie sich – unabhängig davon, welcher Ethnie sie angehörten – ihrer sozialen Position nie sicher sein. Einerseits wurden sie als hoch geehrte Gäste (z.B. die Lautari) behandelt, andererseits als "Tagediebe" und "Scharlatane" diffamiert. In vielen deutschsprachigen Gebieten wurden Schausteller und Spielleute lange Zeit als sogenannte "Unehrliche" eingestuft und galten damit als rechtlos; sie durften weder städtische Ämter bekleiden noch Handwerkszünften beitreten.
Wie gesagt, die Zigeuner brachten Abwechslung ins Dorf. Die Fotos dokumentieren die Vorführung von Tanzbären in hessischen Dörfern.
Tanzbär auf einem Hof in Hachborn 1932