Schützenpanzer - Widdershausen aktuelles Projekt

Chronik Widdershausen
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Schützenpanzer

Chronik 2 > Zonengrenze
Mit Vollgas über die Zonengrenze

Heringen (Werra). Ein tolles Husarenstück leisteten sich am Freitag, den 28. Juni 1968 drei Gefreite der Grenztruppen der NVA, als sie in einem Schützenpanzerwagen SIS 152 mit Funkausrüstung, jedoch ohne Waffen, den Stacheldrahtzaun auf den Werrawiesen zwischen Leimbach und Widdershausen niederwalzten und über die Zonengrenze nach Hessen flüchteten. Die drei Angehörigen der Grenztruppen sind 23, 22, und 21 Jahre alt, sie erreichten unversehrt die Gemeinde Heringen, wie sie auf dem Bürgermeisteramtum Asyl baten. Sie wurden später von Beamten der Landespolizei nach Gießen gebracht. Die Freude der drei Soldaten über die gelungene Flucht war übergroß. Sie umarmten sich und riefen den Umstehenden, die inzwischen herbeigeeilt waren, zu: "Gott sei Dank, jetzt haben wir's geschafft!"
Der Schützenpanzerwagen vom Typ SIS 152 in Heringen neben dem ehemaligen Cafe Küchenmeister.
Die drei Gefreiten waren nach ihren eigenen Angaben gemeinsam eingezogen worden und hatten die Flucht seit langem vorbereitet. Gestern waren sie durch einen glücklichen Zufall, nachdem einer von ihnen vorübergehend an einer anderen Stelle eingesetzt worden war, wieder zusammen zum Dienst auf dem Schützenpanzerwagen eingeteilt worden. Jetzt schien der richtige Augenblick gekommen. Einer von ihnen rief im Angesicht der greifbar nahen Grenze: "Jetzt Vollgas und rüber!" und gab mächtig Gas. Das Fahrzeug tat ihnen den Gefallen und erreichte wenige Sekunden später das rettende westzonale Gebiet. Als sie sich auf dem Bürgermesteramt in Heringen meldeten, hingen noch Reste des niedergewalzten Stacheldrahtes zwischen den Rädern des gepanzerten Fahrzeuges. Die zahlreichen Neugierigen brachten den drei Gefreiten ihre Sympathie zum Ausdruck und beglückwünschten sie zu dem gelungenen Unternehmen.
Einer von ihnen meinte, "Wir wußten, dass Chruschtschow nach Ostberlin kam und wir wollten ihm auf unsere Weise ein Geschenk machen!" Unter den Zuschauern befanden sich auch zahlreiche Kalikumpel, die gerade von der Schicht kamen.
Offenbar war die Flucht zunächst auf sowjetzonalem Gebiet nicht bemerkt worden. Erst nach zweieinhalb Stunden machte ein in der Nähe der Grenze eingesetzter Traktorenfahrer eine Grenzstreife auf das Loch im Zaun aufmerksam. Daraufhin besichtigte eine Offiziersstreife die Durchbruchstelle und verschwand dann wieder.
Zeitungsbericht über die Flucht mit einem Schützenpanzerwagen.
Noch ein Soldat ......
Bereits in der Nacht zum Freitag gelang es einem weiteren Angehöigen der Zonenstreitkräfte, ebenfalls im Bereich Heringen zu liehen. Er stellte sich mit voller Bewaffnung der Zollbeörde und bat um Asyl. Als Grund für seine Flucht gab der 20ährige den immer unerträglicher werdenden Gewissenszwang an der Zonengrenze an. Er war esrt vor einem halben Jahr Soldat geworden und wurde seit fünf Wochen an der Zonengrenze eingesetzt.
Aus Angst vor Denunziation durch Arbeitskollegen flüchtete am gleichen Tage ein 24ähriger Arbeiter auf hessisches Gebiet. Er hatte vor seinen Kameraden auf Ulbricht geschimpft und mußte befürchten, dass sie ihn verpfeifen würden.
Zeitungsbericht über die Flucht in einem Panzerwagen 53 Jahre danach.
Hersfelder Zeitung vom 26.11.2016
Heringen. Irgendwo hier in der Werraaue zwischen Dankmarshausen, Dippach, Widdershausen und Leimbach muss es gewesen sein. Genau erinnern kann sich Hans-Joachim Heim aber nicht mehr.

Als der heute 76-Jährige vor mehr als 53 Jahren zum letzten Mal hier im Werratal war, sicherte ein Stacheldrahtzaun die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten. Heim, damals 23 Jahre alt und Gefreiter bei den Grenztruppen der DDR, sitzt am 28. Juni 1963 gegen 14 Uhr am Steuer eines Schützenpanzerwagens und hält geradewegs auf den Stacheldraht zu. Mit an Bord sind zwei seiner Kameraden.
 
Der gelernte Kraftfahrer stammt aus der Küstenstadt Stralsund. Als er zum Wehrdienst eingezogen wird, möchte er am liebsten zur Marine. Stattdessen wird er zum Grenzregiment nach Eisenach abkommandiert ist nach der Grundausbildung direkt an der Trennlinie zwischen beiden deutschen Staaten stationiert. Wo genau, weiß er allerdings nicht mehr. Am Berg und mitten im Wald habe die Kaserne gelegen, berichtet Heim, als er sich gemeinsam mit Ehefrau Johanna und dem Leiter des Heringer Kali-Museums, Herrmann-Josef Hohmann, auf Spurensuche begibt. Ein Kalischacht sei in der Nähe gewesen, erinnert sich der 76-Jährige. Ortsnamen wie Vitzeroda, Dippach und Dankmarshausen kommen ihm noch bekannt vor.
Aktueller Zeitungsbericht über die damalige Flucht in einem Panzerwagen.
"Das System hat nicht funktioniert"
An der Staatsgrenze West darf Hans Joachim Heim Dienst tun, weil er keine Verwandten im Westen hat und damit aus Sicht der DDR-Oberen keine Fluchtgefahr besteht. Was seine Vorgesetzten nicht wissen: Schon als 18 Jähriger hat er in Berlin heimlich die Grenze zum Westteil überquert. In der DDR hält ihn nicht mehr viel: „Ich habe gemerkt, dass das ganze System nicht funktioniert“, erklärt er. Gemeinsam mit zwei seiner Kameraden schmiedet er den Fluchtplan.
Einer der beiden steuert als Busfahrer regelmäßig die Außenposten an, wenn die Grenzsoldaten etwa zum Kulturabend nach Eisenach gebracht werden, der andere ist der Fahrer des Kommandeurs. Für die drei Gefreiten ist es die letzte Gelegenheit: „Drei Monate später hätte unser Wehrdienst geendet und wir wären nicht mehr so dicht an die Grenze herangekommen“, verdeutlicht Hans-Joachim Heim. Einen ersten Fluchtversuch müssen die Männer jedoch abbrechen – aus Angst, entdeckt zu werden.
Im zweiten Anlauf gelingt die Flucht. Bei seinen Einsätzen an der Grenze hat Heim eine geeignete Stelle ausgekundschaftet: Einen eigentlich sumpfigen Grenzabschnitt, in dem keine Minen liegen, weil diese vom Hochwasser weggeschwemmt werden könnten. In diesem trockenen Sommer ist das Gelände aber befahrbar.
Kurz nachdem der Panzerwagen den Grenzzaun durchbrochen hat, werden die Flüchtlinge von den Grenzschützern im Westen in Empfang genommen. In ihrem Stützpunkt im Osten sei die Flucht allerdings erst zwei Stunden später bemerkt worden, berichtet Heim. In Heringen sind die drei DDR-Grenzer mit ihrem Fahrzeug die Attraktion schlechthin.
„Der Wagen sollte nach Kassel überführt werden, aber niemand im Westen kam mit der Technik zurecht“, erinnert sich der 76-Jährige. Also musste Hans-Joachim Heim nochmal selbst ans Steuer. „Wir hatten in einer Heringer Wirtschaft allerdings schon ordentlich was getrunken“, erzählt er schmunzelnd.
Begleitet von einer Polizeieskorte mit eingeschaltetem Blaulicht ging es über Bad Hersfeld nach Kassel. Seines Wissens sei der Panzerwagen später an die DDR zurückgegeben worden. Gemeinsam mit einem seiner Kameraden ging Hans-Joachim Heim nach Stuttgart. Dort arbeitete er zunächst als Motorenprüfer bei Mercedes, machte sich dann als Spediteur für die Autoindustrie selbständig. In Schwaben lernte er auch seine Frau Johanna kennen.
Das Paar lebt heute in Altbach im Landkreis Esslingen. Beide mit ihm geflüchteten Kameraden sind mittlerweile verstorben. Angst, dass einer von ihnen die Fluchtpläne als Spitzel verraten könnte, habe er damals nicht gehabt: „Wir kannten uns ja seit der Grundausbildung. “Auf die Frage, ob er seine Flucht jemals bereut habe, antwortet der 76-Jährige ohne zu zögern: „Nicht eine Sekunde.“ (jce)
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