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GK Großensee

Chronik 2 > Zonengrenze
Soldat bei den Grenztruppen

Offiziell galten die „Grenztruppen der DDR“ zwar als eigenständig. Aber auf diese Weise konnte die DDR mehr junge Männer unter Waffen halten - über die Nationale Volksarmee (NVA) hinaus. Grenzsoldaten wurden in der DDR nicht anders behandelt als andere Soldaten. Wer studieren wollte, musste sich auf mindestens drei Jahre Wehrdienst einstellen. Wer einiges Glück hatte, diesem ungeschriebenen Gesetz zu entkommen, dessen Zeit endete nach dem Grundwehrdienst von achtzehn Monaten. Im ersten Diensthalbjahr hatten die Grenzsoldaten eine Ausbildung in Eisenach zu absolvieren. Der Politunterricht wurde dort besonders ernst genommen, sollten sie doch an vorderster Front dem Klassenfeind gegenüberstehen.
Offiziell hieß es, dass wir die DDR-Grenze vor dem westlichen Feind schützen sollten. Ein Blick ins Ausbildungsbuch aber zeigte, was sowieso jeder wusste:
Die Grenzanlagen waren nach Osten ausgerichtet. Sie sperrten die DDR-Bürger ein.
Während unserer Ausbildungszeit kursierten Gerüchte, dass sich ein Soldat mit seiner Maschinenpistole erschossen habe, weil er das Leben in der Kaserne nicht mehr ausgehalten habe. Wir konnten nicht herausfinden, ob die Geschichte stimmte. Geheimhaltung und Desinformation bestimmten unseren Alltag. Ich fand mich inmitten eines Geschehens, das ich sowieso nicht durchschauen konnte. Also reduzierte es sich auf so einfache Fragen wie Schlaf, Essen, Post und die wenigen Tage Urlaub. Der Unterschied zu einem Straflager, so dachte ich, konnte groß nicht sein. Und ich glaubte sogar zu wissen, wofür ich bestraft wurde: für meine kurze Wehrdienstzeit.
Im Grenztrabi (Kleinkübel IFA P 601A) in der Nähe von Großensee 1970
Nachdem Eisenach überstanden war, ging es für ein Jahr an die Grenze. Ich kam nach Großensee, einem von der Außenwelt durch einen Zaun vollkommen abgeschnittenen Dorf. Die Bewohner brauchten mehrere Passierscheine, um in ihren Ort zu gelangen. Wir Soldaten hatten sie zu kontrollieren. Mit der Maschinenpistole durch einen Bus zu gehen war ein ganz normaler Vorgang.
Die Grenzkompanie, eine Kaserne in Kleinformat, war ein Standardplattenbau. Zwölf Mann schliefen in Doppelstockbetten auf einem Zimmer – das unterschied sich kaum von anderen Truppen. Nur der militärische Drill war nicht ganz so schlimm.
Zum Grenzdienst wurde immer zu zweit ausgerückt. Im ersten Halbjahr war ich Posten, im zweiten Postenführer, erkennbar an einem grünen Balken auf den Schulterstücken. Mit wem man wo unterwegs war, erfuhr man erst unmittelbar vor Dienstbeginn. Es gab beliebte Postenpunkte, auf denen man es im Winter ein bisschen wärmer hatte, sich bewegen durfte oder mit den Einheimischen zu tun bekam, die auch mal ein Bier vorbeibrachten, obwohl das natürlich verboten war. Und es gab sehr unbeliebte Posten, wo der Wind pfiff, die Vorgesetzten nahe waren oder man die Verpflegung, das „Postenbrot“, gegen Ratten verteidigen musste. Immerhin waren Grenzsoldaten etwas besser versorgt als die anderen Soldaten in der DDR. Im „Postenbrot“ konnte auch mal eine Schokolade, eine Orange oder eine Banane liegen.
Grenzdienst hieß rollende Schicht, also Tag für Tag zu wechselnden Tageszeiten Eine Schicht hatte acht, mitunter auch zwölf Stunden. Hinzu kamen die ständigen Alarme. Hatte es zum Beispiel doch jemand geschafft, in das Sperrgebiet zu gelangen, wurden wir „in Abriegelung“ geschickt.
Wir hatten uns direkt an die Grenze zu legen, Postenpaar für Postenpaar in Sichtweite voneinander. Diesem Netz hatte wohl niemand entgehen können. Oft genug war es blinder Alarm.
Beobachtungsbunker der Grenztruppen bei Großensee 1970
Am 14. Juli 1977 aber hatte ein Grenzsoldat aus der Nachbarkompanie in Großensee beim Spielen mit der Waffe seinen Posten erschossen. Die beiden waren befreundet gewesen. Der Täter floh in Panik. Die Ablösung fand den toten Holger WEIHMANN. Der Geflohene Andreas F.* blieb in der Bundesrepublik und wurde dort zu acht Monaten Bewährung wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Das habe ich natürlich damals nicht erfahren.

Einmal wurde tatsächlich jemand gefasst. Jedenfalls hörten wir das gerüchteweise. Ein früherer Grenzsoldat soll es gewesen sein, der angeblich weit vor 4er Grenzlinie von einem Gakl, einem Grenzaufklärer, gestellt wurde. Das waren zumeist Unteroffiziere, die sich länger verpflichtet hatten und wie freie Radikale im Grenzgebiet umherschwirrten. Als ich einmal an einer „Gasse“ eingesetzt war - so wurden jene Stellen genannt, durch die Bahnlinien führten -‚ hörte ich in der ansonsten vollkommenen Stille Schritte auf dem Gleisbett. Es war ein Gakl, der vermutlich uns, das Postenpaar, aufklären sollte.
Beobachtungsbunker der Grenztruppen bei Großensee 1970, Auf Posten im Winter
Postenpaar mit Oma Wenzel in Großensee 1970
Wer seinen Dienst an so einer Gasse versah, hätte, dort ohne größere Schwierigkeiten in den Westen fliehen können. Darum galten die dort eingesetzten Männer als A-Posten, als besonders vertrauenswürdig. Wobei uns die Kriterien für Vertrauenswürdigkeit unbekannt waren. Dass jemand junger Familienvater war, zählte offenbar besonders stark. Ebenso ein politisch verlässliches Elternhaus. B- und C-Posten waren oft. weit entfernt von der eigentlichen Grenze, eingesperrt zwischen Grenzsignalzaun und Grenzzaun in einer unwirklichen Landschaft aus Kolonnenweg, Türmen, Bunkern, Signalanlagen, Minenfeldern, Hundelaufgattern und stets frisch geharktem Kontrollstreifen, um dort Spuren zu finden, wenn eine der Signalanlagen Alarm ausgelöst hatte.
Die Grenzsoldaten erzählten sich Wunderdinge vom Westen, vom Bundesgrenzschutz, vom Zoll und den Amerikanern, die manchmal in Jeeps oder gepanzerten Fahrzeugen an der Grenze auftauchten. Die würden auch mal Zigaretten hinüberwerfen oder eine Leinwand aufbauen, wo sie freizügige Filme zeigten. Mir wurde nichts zugeworfen und kein Film gezeigt. Einmal fand ich auf den Gleisen, eine „Bild“.

Mir ist zum Glück auch sonst nichts passiert in dieser Zeit. Ich war mir sicher, dass ich nicht auf Menschen schießen konnte. Aber was hätte ich im Fall des Falles nicht alles getan - nur aus Angst. Dafür war die Langeweile unendlich. Jede Ablenkung war selbstverständlich verboten.
Mit Schäferhund Astor an der Hundelaufstrecke bei Großensee 1970
Der Politoffizier der GK Großensee - Hptm Storch mit Motorroller im Gespräch mit dem Bürgermeister Franz Heymann (1958-1976) und seiner Frau Martha, Diesberg Dankmarshausen 1968, Hptm Storch wohnte in Dankmarshausen, Gartenstrasse, Grenzerblock, seine Frau war Köchin im Kindergarten
Besprechung mit Major Prittig Kommandeur der Granzbrigade rechts - Kompaniechef der Grenzkompanie Großensee ,Hauptmann Hobusch links, 1968 in Großensee
Quellen:
Fotos 1970 aus Monika Hahnspach, Gedient... an der Grenze, Erinnerungen in Briefen, ISBN: 978-3944039428
armicus Verlag, 1. Auflage Oktober 2013

Fotos aus 1968: Neue Berliner Illustrierte NBI, Reportage über die Grenzorte Dankmarshausen und Großensee

Text aus: Frank Pergande, Mein Jahr an der Grenze, Frankfurter Allgemeine, 06.04.2014
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