Pfarrer Pfeiffer
Chronik 2 > Kirche
Pfarrer Friedrich Pfeiffer, der Gründer der SELK Gemeinde 1876 in Widdershausen
Altarraum der ersten SELK-Kirche in Widdershausen
Friedrich Pfeiffer,
abgesetzter Pfarrer von Breitau, Kreis Rotenburg, 27. Dezember 1873
Zu Nentershausen bei Sontra am 27. Dezember 1845 geboren, wuchs er in der reinen Luft und liebevollen Zucht eines christlichen Hauses auf, das seine Eltern, der Untergerichtsprokurator Fr. Pfeiffer und seine Ehefrau Wilhelmine geb. Betz, gegründet hatten. Auf dem Hersfelder Gymnasium, das er von 1859 an besuchte, wurde er von, Dr. Dieterich in gleichem Sinne gefördert und ging 1863 an die Universität Marburg über, wo A. Villmar seinen unvergeßlichen Einfluß auf ihn ausübte.
Nach beendeter Studienzeit versah er vorübergehend eine Privatlehrerstelle und war dann von 1868 bis 1869 als lehrer an den Neuendettelsauer Anstalten in Bayern tätig. Hier empfing er die nachhaltigsten Eindrücke von der Persönlichkeit Wilhelm Löhes, insbesondere von dessen seelsorgerischer Tätigkeit am Kranken und Blöden. Da das Kasseler Konsistorium es ablehnte, ihn zum Zwecke weiterer Tätigkeit in Neuendettelsau zu ordinieren, so kehrte er 1869 in die Heimat zurück und trat in den Dienst der niederhessischen Kirche, um einem ihm im Jahre 1868 erteilten Rat seines Lehrers A. Vilmar folgend die Bekenntnisgemeinschaft der niederhessischen und oberhessischen lutherischen Kirche nachdrücklichst geltend zu machen.
In der Befolgung dieses Gedankens war er eine Zeit lang geneigt, im Anschluß an Pfarrer Ruckert in Kassel die Berechtigung des geplanten Gesamtkonsistoriums und der Laiensynode unter bestimmten Kautelen anzuerkennen, zumal er sich durch die Schärfe, mit der die Renitenten immer wieder "das Recht der niederhessischen Kirche" betonten, abgestoßen fühlte. Man lese dazu seine Schrift von 1871 "Bekenntnis und Abwehr", die er von Kirchditmold aus veröffentlichte, wo er von 1869 - 1872 Hilfspfarrer war und wo er sich auch 1872 mitt Louise Gerhold, der zweiten Tochter des Pfarrers Georg Gerhold zu Heinebach, später Wehren, verheiratete.
Bald aber erkannte er, daß das gemeinsame Konsistorium nur im Interesse der Verstaatlichung und Unionisierung der Kirche geplant war, und unverzüglich bekannte er dann auch in dem von Theodor Groß herausgegebenen "Kirchenblatt aus Kurhessen" seinen Irrtum, eine Wendung, die Metropolitan Dr. Hoffmann am Schlusse seiner schrift "Die Zuziehung der Laien zu den kirchlichen Synoden, Hanau 1872" von ihm als einem "ehrlichen jungen Mann, der das Gute wolle", vorausgesagt hatte. 1872 nach Breitau versetzt, trafen ihn dort die Stürme der Renitenz. Am Tage der Geburt seiner ältesten Tochter mußte er die folgenschwere Entscheidung treffen, an der Amt und Brot hing. "Ich warf mich in meiner Studierstube auf die Knie", so berichtet er in seiner Lebensbeschreibung, "und legte mich wie ein Schwaches und ratloses Kind an das Vaterherz Gottes; ich bat inbrünstig um Kraft und Freudigkeit zu tun, war recht sei. Ich empfand aufs deutlichste die Erhörung dieses Gebetes. Als ich Amen gesagt hatte, ergriff ich die Feder und unterzeichnete das Schriftstück (wahrscheinlich den Zivilprotest gegen das Gesamtkonsistorium) damit hatte ich sozusagen mein Todesurteil unterschrieben. Aber ich hatte Frieden und Freude im Herzen."
Die Erklärung, welche er dann persönlich an das Konsistorium richtete (vergleiche Deutsche Volkszeitung Nr. 131), bezeichnen die "Hessischen Blätter" als "ein hervorragendes und wahrhaft erschütterndes Zeugnis aus der hessischen Kirche". In den folgenden Monaten hatte er Gelegenheit, seine kirchliche Stellung in zwei kleinen Schritten "Einige Worte über die kirchliche Stellung des Pfarrers Kolbe zu Marburg ... zu dem unierten Gesamtkonsistorium" und "Der Kampf der Hessischen Kirche im ihre Freiheit und der Generalsuperintendent Martin zu Kassel" näher darzulegen. In der ersten Schrift wendet er sich gegen diejenigen "Lutheraner" Oberhessens, welche mit Rücksicht auf das ihrer Kirche in früheren Zeiten von den Landgrafen angetane Unrecht die Unterwerfung unter die neue Behörde empfahlen und ihr "Luthertum" im wesentlichen dadurch betätigen, daß sie die nierhessische Kirche als eine "Kirche anderer Konfession" bezeichneten. Er legte im Anschluß an A. Vilmar den trotz des Namens feststehenden lutherischen Charakter der niederhessischen Kirche dar und wies den Hochmut der Lutheraner, die vom hohen Rothurn herab auf die verachtete, aber zu größten Opfern bereiten Niederhessen herabschauten, während sie selbst "das gute Recht der lutherischen Kirche Oberhessens zu Grabe trügen", zurück.
In der zweiten weist er dem Generalsuperintendenten Martin gegenüber nach, daß die Einsetzung des Gesamtkonsistoriums eine wesentliche, den Glauben und das Gewissen verletzende Maßnahme sei. Die Leitung der Kirche durch eine derartig gemischtgläubige Behörde verletze das Bekenntnis und vernichte die Kirche. Deshalb verbiete das Ordinationsgelübde den Gehorsam. Dabei nimmt Pfeiffer überall den weiten ökomenischen Standpunkt ein, der durch die ganze Renitenzbewegung ging, und sah in der Krise des Jahres 1873 den großen Gegensatz zwischen christlichen und antichristlichen Gewalten. Das gleiche gilt von der 1875 erschienenen ausführlichen Schrift "Domestica oder Versuch zur Lösung prktischer Fragen in Angelegenheit der hessischen Kirchenbewegung". (Erlangen 1875) Diese nicht bloß geistig hochbedeutsame, sondern auch kirchliche zentrale Schrift, die einerseits dem heutigen Luthertum einen erschütternden Bußspiegel vorhält und ihm nachweist, daß es infolge seiner Prophetielosigkeit zu der urlutherischen Tat der Renitenz seine Stellung gewinnen könne, andererseits den verschiedenen Strömungen der Renitenz selbst, wie sie durch W. Vilmar, die "Hessischen Blätter" und auch durch den Fortgang der Homberger Richtung, deren erste Erklärung Pfeiffer unterschrieben hatte, ohne sich aber dem Homberger Konvent anzuschließen, vertreten waren, tief ins Gewissen redet, ist noch heute sehr wertvoll zu lesen, namentlich auch wegen ihrer positiven Vorschläge für die aus den Erfahrungen der Renitenz zu bestimmende Kirchenverfassung.
Inzwischen hatte Pfeiffer, dem in Breitau niemand in die Renitenz folgte, auf Ersuchen erweckter Kreise in Widdershausen an der Werra deren pfarramtliche Leitung übernommen, zog im Frühjahr 1876 nach Heringen und wurde der Begründer der renitenten Gemeinde zu Heringen, Widdershausen und Obersuhl. Acht Jahre lang hat er in großer Treue dieses Amtes gewaltet, dabei auch manchen harten Strauß mit der feindseligen Staats- und Kirchenbehörde und mit der Rohheit einzelner Fanatiker meist siegreich durchgefochten. Noch jetzt denken die Alten der Gemeinde Widdershausen dankbar an ihn und den von ihm ausgegangenen Segen zurück. Nachdem er nach Erscheinen seiner Domestica einen sehr günstigen Ruf Professor Luthardts, als 2. Redakteur in die Leitung der "Allgemeinen Evangelisch Lutherischen Kirchenzeitung" in Leipzig einzutreten, abgelehnt hatte, bewog ihn im Jahre 1884 die Sorge um die Erziehung seiner heranwachsenden 7 Kinder dem Ruf des edelmütigen Reußer Fürsten zu folgen und so ging diese starke selbständige Kraft leider der Renitenz verloren.
Fünf Jahre hat er in Naitschau bei Greitz, 18 Jahre in dem friedlich im Walde gelegenen Dörfchen Pöllwitz gewirkt und sich, wie bei seinem Begräbnis zu Tage trat, in hohem Grade die Liebe und Verehrung seiner Gemeindeglieder und der Geistlichen des Landes erworben. Bei rastloser Tätigkeit in seinem Amte brachte er es fertig, hierin das Los der heimatlichen renitenten Pfarrer teilend - 20 Jahre hindurch, fast ohne eine Stunde ausfallen zu lassen, mit eiserner Energie wöchentlich 36 Stunden Schule zu halten, um seinen 5 Söhnen und 2 Töchtern eine gediegene Ausbildung zu geben, und gelegentlich durch Aufsätze und Korrespondenzen in den verschiedenen Blättern literarisch tätig zu sein. Doch der Heimgang seiner Lebensgefährtin, die ihm mit freudigem Sinn und starkem Gottvertrauen in trüben Zeiten zur Seite gestanden, brach seine Kraft wie mit einem Schlage. Seit 1905 war er ein siecher Mann, dessen Verfall mehrere Schlaganfälle bekundeten. Er trat 1908 in den Ruhestand, den er in Greitz verbrachte. Mit freudiger Ergebung in Gottes Willen hielt er es aus bis zum Ende und wurde in Pöllwitz neben seiner Gattin beerdigt. Er starb am 27. Juli 1913 zu Greiz.
Quelle: Rudolf Schlund, Die 43 renitenten Pfarrer, Lebensabschnitte der im Jahre 1873/74 um ihrer Treue willen des Amtes entsetzten hessischen Pfarrer, Marburg Elwertsche Verlagsbuchhandlung, Marburg 1923