Grenzschließung
Chronik 2 > Zonengrenze
Die Abriegelung der Zonengrenze 1952
Bis zum 1.Juni1952, als von Seiten der DDR mit dem Umpflügen eines Zehn-Meter-Streifens und dem Bau erster Stacheldrahtzäune begonnen wurde, gab es im Werratal einen regen „kleinen Grenzverkehr“. Allein in den beiden westdeutschen Kaliwerken Hattorf und Wintershall arbeiteten in der unmittelbaren Nachkriegszeit hunderte von Bewohnern der grenznahen thüringischen Gemeinden Dippach, Dankmarshausen, Berfa und Gerstungen.
Mit einem Ausweis, der alle drei Monate vom Arbeitsamt in Bad Hersfeld abzustempeln war, passierten sie täglich die Kontrollpunkte in Widdershausen und Philippsthal, wo amerikanisches und russisches Militär den Postendienst versah. Wer Verwandte in der „Sowjetzone“ hatte, konnte sich einen Passierschein zum Besuch besorgen. Viele Grenzbewohner verzichteten auch auf den Behördenweg und gingen irgendwo im Wald über die „grüne Grenze“. Natürlich wurden diese illegalen Grenzgänger hin und wieder von Streifen der Volkspolizei erwischt und nach Dippach oder Eisenach abtransportiert, wo sie ein bis zwei Tage eingesperrt wurden.
Als die Zonengrenze noch menschlich war: Wenn die Dankmarshäuser feierten, holten sich die Widdershäuser das Bier über den Zaun. Vorn rechts im Bild Konrad Köhler aus Widdershausen (Foto: Fritz Wolf).
Auf der Strecke Vacha-Gerstungen, verkehrten regelmäßig Personenzüge, die über Heimboldshausen, Heringen und Widdershausen durch das Gebiet der Bundesrepublik rollten. Auch mit dieser Bahnverbindung war nach dem 1. Juni 1952 abrupt Schluß. Nur für den Kalitransport wurde der Schienenweg durch die Grenze später wieder geöffnet. Wenn Zahltag auf den Kaliwerken gewesen war, deckten sich die „Gastarbeiter“ aus der DDR für ihren DM-Lohn erst einmal mit Lebensmitteln ein, ehe sie den Heimweg über die Grenze antraten. Noch zur Maifeier 1952 am Rasthaus Bodesruh (damals noch keine richtige Gaststätte) waren viele Kaliarbeiter von „drüben“ als Besucher der Kundgebung anwesend.
Begegnungsort der Bevölkerung von Widdershausen und Dankmarshausen war der Sportplatz von Dankmarshausen. Zu Sportfesten im Sommer tauchte dort auch der russische Ortskommandant auf, der gegen Kontakte mit den Westdeutschen durchaus nichts einzuwenden hatte und sich sogar an Gesprächen mit den Widdershäusern beteilgte. Und über den Zaun hinweg kauften sich die Widdershäuser bei ihren DDR-Nachbarn einen Schoppen Bier. Aus dieser Zeit hat sich die Tradition erhalten, daß die Kirmesburschen von Widdershausen jährlich beim Kirmesumzug zur Grenze ziehen und den Dankmarshäusern ein Ständchen bringen.
Russische Soldaten aus Dankmarshausen beim Plausch mit Einwohnern aus Widdershausen (Foto: Fritz Wolf, Foto aus der Armbeuge geschossen)
Als die Grenze geschlossen wurde, ließen viele der Kaliarbeiter ihr Hab und Gut in der DDR im Stich und flüchteten mit ihren Familien in den Westen. Anfangs gab es noch genügend Schlupflöcher, denn zunächst waren nur Straßen, Brücken und Wege verbarrikadiert worden. Ein durchgehender Zaun, später auch Minenfelder und hölzerne Wachttürme, entstanden erst nach und nach. Die perfektionierten Sperranlagen mit Stahlgitterzäunen, Betontürmen, Splitterschussgeräten und einem befestigten Wegenetz entstanden erst in den 70er und 80er Jahren.
Im Gefolge der Grenzziehung tauchten im östlichen Kreisgebiet auch Verkehrsprobleme auf, denn plötzlich waren Verbindungsstraßen zwischen zwei Ortschaften auf westdeutschen Gebiet blockiert, weil sie durch DDR-Gelände führten. So mußten etwa neue Landstraßen nach Kleinensee, Raßdorf und Bosserode gebaut werden.
Schlimmer noch war aber der Abbruch der Familienkontakte. Weil Ortschaften wie Dankmarshausen in der Sperrzone der DDR lagen, war es selbst bei Trauerfällen schwierig, eine Einreiseerlaubnis zu erhalten. Und auch dann durfte die Einreise nur über den Kontrollpunkt Herleshausen erfolgen, obwohl der eigentliche Zielort auf der anderen Seite der Werra in nur wenigen Minuten zu erreichen war.
Der letzte russische Kommandant (mit Schirmmütze hinter Motorrad) an der Zonengrenze zwischen Widdershausen und Dankmarshausen
Im Mai 1952 erfolgte die Abriegelung der Zonengrenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf einer Gesamtlänge von 1381 km. Der Grenzverlauf zwischen Hessen und Thüringen hatte eine Gesamtlänge von 269 km. Am 24. Mai 1952 wurde der Grenzübergang Vacha-Philippsthal geschlossen, fast 200 Arbeiter konnten ihre westlich gelegenen Betriebe nicht mehr erreichen. Durch die Teilung Deutschlands in Ost und West wurde die uralte Grenze zwischen Widdershausen und Dankmarshausen im Laufe der Zeit zu einem unüberwindbaren eisernen Vorhang. Die Zonengrenze zerschnitt ein organisch zusammengehöriges Gebiet und führte auf beiden Seiten nicht allein zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Schädigungen, sondern auch zu menschlichen Tragödien. Immer wieder sorgten spektakuläre Grenzübertritte von Ost nach West für Schlagzeilen.Widdershausen wurde dadurch zu einem Zollgrenzbezirk und die Beamten im Streifendienst (Zoll und BGS) gehörten bald zum alltäglichen Bild in der Widdershäuser Gemarkung.
Am 28. Juni 1962 durchbrachen drei Grenzsoldaten von der Dippacher Kompanie mit einem Schützenpanzer SIS 152 die Sperre am Diesberg nach Widdershausen - Das Bild entstand in Heringen vor dem ehemaligen Cafe Küchenmeister. An Bord der Zollbeamte (BzbV) Kurt Ernst.
Ab 1956 vermehrten sich die Informationsfahrten zur Zonengrenze. Fast jede Woche besuchten Vereine und Schulklassen in Omnibussen die Zonengrenze zwischen Widderhausen und Dankmarshausen. So wurde die Grenzgemeinde im Laufe der Zeit zu einem touristischen Ausflugsziel.
Anfang des Jahres 1960 begann die vollständige Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. Viele Landwirte gingen in den Westen.
Am 8. Mai 1960 werden zwei Bundesbürger von einer Grenzpolizeistreife zwischen Widdershausen und Dankmarshausen festgenommen und einige Tage in der SBZ festgehalten.
Am 13. August 1961 begann die Abriegelung Berlins. Ab August 1962 werden von den Grenztruppen der NVA entlang der Demarkationslinie neue Sperrmaßnahmen im großen Rahmen durchgeführt. Betonpfähle wurden eingerammt und ein doppelter Drahtzaun errichtet.
Ab Mai 1963 wurden in dem Streifen zwischen ersten und zweiten Zaun russische Minen in Holzkästen verlegt.
m Herbst 1963 wurden hinter dem Doppelzaun tiefe Kraftfahrzeugsperrgräben ausgehoben und mit Betonplatten befestigt. 1965 folgte die Aufstellung von Scheinwerferanlagen, die das Hinterland beleuchteten. Ende 1965 wurden auch Hundelaufanlagen zwischen Widdershausen und Dankmarshausen oberhalb des Bahndammes installiert. Die Hunde liefen an einem längeren Seil zwischen dem Doppelzaun frei umher.
Der berüchtigte Schießbefehl für die Grenztruppen der NVA wurde zum ersten Mal am 7. April 1964 erwähnt, bestand jedoch in der Dienstverordnung bereits seit 1954.
Neu waren im Herbst 1965 auch die aus Beton-Fertigteilen hergestellten Bunker, die die Erdbunker – eigentlich handelte es sich um Beobachtungsstände – ablösten.
1967 wurden die hölzernen Kastenminen durch moderne Plastikminen ausgetauscht. Tagelang wurden durch Pioniertrupps in den Auewiesen zwischen Dankmarshausen und Dippach die alten Minen zur Explosion gebracht.
NVA Grenzsoldaten und Pioniere an der Zonengrenze zwischen Widdershausen und Dankmarshausen neben dem alten Holz-Beobachtungsturm
1969 errichtete man Wachtürme aus Betonteilen an Stelle der Holzkonstruktionen. Sie bestanden aus 11 Betonringen von ca. 1,50 Meter Höhe, oben verbreiterten sie sich zu einer achteckigen Kanzel mit Fenstern. Auf dem Dach war ein drehbarer Scheinwerfer montiert, eine Telefonverbindung untereinander war installiert worden, Haken im Innern dienten zum Aufstieg.
Ab 1972 wurde der gesamte Grenzabschnitt mit einem modernen Metallgitterzaun ausgestattet. Er bestand aus einzelnen Gittermatten von ungefähr einem Meter Höhe, die an den Betonpfosten angeschraubt wurden. Der Zaun erreichte eine Höhe von 2,5 Metern. Im Zusammenhang mit dem neuen Metallgitterzaun erfahren wir im November 1972 von installierten Selbstschußanlagen vom Typ SM70, die ausgelöst über Signaldrähte, ihre Splitter parallel zum Gitterzaun schleudern.