Lager Ryazan
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Kriegsgefangenenlager 454 Ryazan
Nach seiner Gefangennahme am 06. Mai 1945 bei Pisek in Tschechien wurde Heinrich Koch (1919-2014) aus Widdershauen mit einem Teil von Angehörigen des Artillerie-Regimentes 16 von tschechischen Milizen am 08.05.1945 an amerikanische Einheiten der 3. US-Armee (XII. Armeekorps) übergeben.
Diese lieferten alle Angehörigen der 6. Armee am 10.05.1945 an die gerade in Pisek eingetroffenen russischen Einheiten aus.
Heinrich Koch kam am 30. Juni 1945 mit einem Gefangenentransport in Lebedjan am Don an. Aus den Wehrmachtssoldaten wurden voina plenis (Kriegsgefangene).
Am 20.04.1946 wurde Heinrich Koch in das Kriegsgefangenenlager 454 nach Ryazan (Rjasan) an der Oka verlegt.
Lager der NKWD N 178-454 in Ryazan an der Oka. Das Lager bestand von 1942 bis 1949.
Lager der NKWD N 178-454 in Ryazan an der Oka. Das Lager bestand von 1942 bis 1949.
Das Kriegsgefangenenlager 454 in Ryazan (Rjasan) an der Oka hatte die Lagernummern 178 dann 5963 und später 7/454. Es liegt etwa 170 km südöstlich von Moskau.
Das Klima in Ryazan wird mit eisigen Winden und bis zu minus 35 Grad im Winter, kurzen, heissen Sommern und einer Insektenplage beschrieben.
Das Klima in Ryazan wird mit eisigen Winden und bis zu minus 35 Grad im Winter, kurzen, heissen Sommern und einer Insektenplage beschrieben.
Das Lager war vom November 1943 bis Mai 1949 mit schätzungsweise 10.000 Kriegsgefangenen belegt.
Die Unterkünfte bestanden aus massiven Steinbauten sowie Holzbaracken ohne elektrische Beleuchtung. Es wurden Waldarbeiten, Arbeitseinsätze auf Obstkolchosen, in Ziegeleien, in Sägewerken, im Hoch- und Tiefbau und in Wiederaufbau- und Aufräumungsarbeiten durchgeführt.
Post- und Paketempfang war erst ab Juni 1946 möglich.
Es bestanden folgende Aussenlager: Antifaschule 7454/A, Nasarowka 178/3, Starachilow, Swesinskaja (Waldlager) 7454/7, Selmasch (Fabriklager), Krijuscha (Waldlager) 7454/3, Krenscha (Wald- und Torflager), Kolchose 7454/2 und Kolchose 7454/4.
Wohnbereich des Lagers der NKWD N 178-454 in Ryazan an der Oka. Das Lager bestand von 1942 bis 1949.
Die Verpflegung wird als teilweise in Ordnung beschrieben. In vielen Nebenlagern, speziell in den Waldlagern herrschte der Hunger.
Die Medizinische Betreuung durch eine russische Ärztin, später durch einen russischen Arzt wird als gut beschrieben. Es herrschte allerdings Mangel an Medikamenten und Verbandszeug. Schwere Fälle kamen in das Stadtkrankenhaus.
Von Juni 1944 bis März 1946 verhungerten 900 Männer. Große Sterblichkeit durch Ruhr und Dystrophie.
Verlegungstransporte gab es nach 7/855, 7/889, 7/892 und 6/349. Am 20.03.1949 wurden 100 belastete Stabsoffiziere nach Sibirien verlegt. Am 20.04.1949 wurden 62 Belastete nach 7/388,4 und 7/388,3 verlegt.
Löhne gab es nur für Spezialisten, die als einzige Arbeitsnormen erfüllen mussten.
Eine Postkarte von Heinrich Koch aus dem Lager 454 Ryazan(Postfach 454) vom 23.02.1947 an die Familie seines Schwagers Karl Siebert in Schwenge in der damaligen ostzonalen Zone
Eine Postkarte von Heinrich Koch aus dem Lager 454 Ryazan(Postfach 454) vom 23.02.1947 an die Familie seines Schwagers Karl Siebert in Schwenge. Heinrich erkundigt sich bereits nach Arbeitsmöglichkeiten beim Kaliwerk Wintershall in Heringen an der Werra.
Das erste große Kriegsgefangenenlager (лагерь для военнопленных) wurde im Dorf Voroshilovka eingerichtet - wo sich heute die Kolonie befindet. Das Lager wurde von den Deutschen selbst gebaut, im offenen Feld, mit Stacheldraht eingezäunt.
Das zweite Lager, welches sich als das zentrale Lager entwickelte, wurde zwischen den Dörfern Dyagilevo, Nedostoevo und Kanishcheva errichtet, an dem Ort, wo sich heute eine modernes Industriegebiet befindet. Das Lager vergrößerte sich sehr schnell, es wurde ein Sägewerk (лесопилкой), ein Ziegelwerk und ein Betonwerk errichtet, welche von den Häftlingen betrieben wurden.
Das zweite Lager, welches sich als das zentrale Lager entwickelte, wurde zwischen den Dörfern Dyagilevo, Nedostoevo und Kanishcheva errichtet, an dem Ort, wo sich heute eine modernes Industriegebiet befindet. Das Lager vergrößerte sich sehr schnell, es wurde ein Sägewerk (лесопилкой), ein Ziegelwerk und ein Betonwerk errichtet, welche von den Häftlingen betrieben wurden.
Auf dem gleichen Gelände wurde auch der größte Soldatenfriedhof der Region angelegt. Das Lager hatte 14 Zweiglager in der Region Ryazan. Die Zweiglager befanden sich zur Torfgewinnung in der Nähe des heutigen Kasimov (160 km nordöstlich von Ryazan) und Klepikovsky (120 km nordöstlich von Ryazan), zum Bau einer Baumwollspinnerei in der Region Tuma (100 km nordöstlich von Ryazan), zum Bau von Verteidigungsanlagen im benachbarten Mordowinien (380 km östlich von Ryazan) und zum Braunkohle-Bergbau in der Nähe von Skopin (130 km südlich von Ryazan).
In Lager Ryazan gab es einen Kameraden, der gut zeichnen konnte und gegen ein Honorar von 200 Gramm Brot eine kleine Portraitskizze anfertigte, die man als Postkarte nach Hause schicken durfte, wenn der darauf abgebildete genügend gesund aussah. Hier die Rückseite der Postkarte mit dem Portrait von Heinrich von Ostern 1947
In Lager Ryazan gab es einen Kameraden, der gut zeichnen konnte und gegen ein Honorar von 200 Gramm Brot eine kleine Portraitskizze anfertigte, die man als Postkarte nach Hause schicken durfte, wenn der darauf abgebildete genügend gesund aussah. Hier die Vorderseite der Postkarte mit der Anschrift seiner Schwester Maria Herwig in Heringen an der Werra.
Viele Industrieanlagen in Ryazan wurden von Kriegsgefangenen gebaut. Sie haben auch ganze Anlagen und Ausrüstungen, die am Ende des Krieges und in den Nachkriegsjahren direkt aus Ostdeutschland kamen (Reparationsleistungen) installiert. Auch die Fabrik TKPO und Tool Plant wurden von Kriegsgefangenen aufgebaut. TKPO ist heute in der Schwerindustrie tätig und stellt u.a. Großpressen her. Igor Kanayev sagt, dass 1944 beschlossen wurde eine Maschinenfabrik in Ryazan zu bauen. Speziell zum Bau dieser Maschinenfabrik kamen viele Häftlinge nach Ryazan, es wurden riesige Gruben ausgehoben. Später, beschloss die Partei, dass dieses Werk in Ryazan nicht notwendig sei.
Die größte Herausforderung in dieser Zeit war natürlich der Hunger. Jeden Tag marschierten ausgemergelte Männer, von Wachen begleitet, durch die Stadt, um in der Stadt zu arbeiten.
Die Gefangenen haben natürlich versucht dem Hunger zu entkommen. Diejenigen, die in der Landwirtschaft gearbeitet haben, haben sich die Steppjacken mit Mehl vollgestopft um im Lager hausgemachte Tortillas zu backen.
Kriegsgefangene, die Industrieanlagen in Unternehmen montiert haben, versuchten Verschnitte von Metall zu bunkern. Unter ihnen waren viele Handwerker, diese stellten daraus Messer und Feuerzeuge her. Diese "Souvenirs" wurden dann mit der lokalen Bevölkerung gegen Brot umgetauscht. In einigen Familien in Ryazan - vor allem ehemalige Sicherheitsbeamte – haben diese deutschen Feuerzeuge bis heute aufbewahrt, und außerdem sagen sie, sie sind noch in Ordnung.
In den Jahren 1946-47 hatte sich die Ernährungslage der Kriegsgefangenen deutlich verbessert. Es kam vor, dass die Deutschen ihre Rationen mit Einwohnern von Ryazan, die in den Nachkriegsjahren hungerten, teilten. Im Allgemeinen haben sich die Beziehungen mit den Gefangenen und der lokalen Bevölkerung in dieser Zeit „loyal“ entwickelt.
Dieses mit einfachsten Hilfsmitteln hergestellte Schachspiel bekam Heinrich Koch im Lager 454 Ryazan von seinen Mitgefangenen zum 30. Geburtstag am 05.05.1949 geschenkt.
Literatur:
Hinrich-Boy Christiansen
Mit Hurra gegen die Wand
Erinnerungen eines Brandenburgers an Krieg und Gefangenschaft
Herausgegeben von Rudolf Kinzinger, Book on Demand, Norderstedt 2010, ISBN 978-3-8391-8711-1
Hinrich-Boy Christiansen war im Kriegsgefangenenlager Lebedjan am Don gleichzeitig (bis 1946)
mit Heinrich Koch 1919-2014 (3. Batt. Art.Rgt. 16) aus Widdershausen,
anschließend waren beide gleichzeitig (bis 1948) im Lager Rjasan an der Oka (Stadtlager und Fabriklager).
Hinrich erwähnt sogar im Buch auf Seite 93 den Zeichner, im Fabriklager, der für 200g Brot eine Portraitskizze
anfertigte, die man als Postkarte nach Hause schicken durfte.