Offener Brief 1876 - Widdershausen aktuelles Projekt

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Offener Brief 1876

Chronik 2 > Kirche
Titelseite des offenen Briefes von Pfarrer Friedrich Pfeiffer von 1876
Einleitung des offenen Briefes von Pfarrer Friedrich Pfeiffer von 1876
Offener Brief
an
den königlichen Pfarrer der Staatskirche zu Widdershausen,
Herrn Karl Herwig,
über
die wahren und die falschen Friedensprediger
von
Friedrich Pfeiffer,
renitenter lutherischer Pfarrer der Gemeinde zu Widdershausen und Heringen.

Zum Besten eines Betsaals in Widdershausen
bei Berka an der Werra.
Kassel, 1876.
Commissionsverlag der H. Jungklaus'schen Buchhandlung.

Heringen, den 10. Juli 1876.

Ew. hochehrwürden haben, wir mir gestern am Schluß unseres Gottesdienstes in Widdershausen mitgetheilt worden ist, nicht allein mit anerkennenswerther Offenheit ausgesprochen, daß Sie es sich zur Aufgabe gemacht hätten, die Renitenten in den Schooß der Staatskirche zurückzuführen, sondern auch durch die unverkennbare Richtung Ihrer ersten Besuche daselbst an den Tag gelegt, daß Sie mit allen Ihnen zu Gebote stehenden Mitteln dieses Ziel zu verfolgen gedenken, wie denn Ihre Berufung an der Stelle des von Obersuhl entfernten Pfarrvikars Reiß zur Genüge erkennen läßt, daß Sie vom dem königlichen Staatskirchenregiment zu Kassel für geeignet befunden worden sind,
diesen Posten im Sinne der genannten Behörde ausfüllen zu können.
Der Zweck dieser Zeilen ist nun der Ihnen mitzutheilen, daß keiner der Renitenten sich nach Ihren Besuchen sehnt, daß Sie alle von Ihnen nicht besucht sein wollen, wie Sie denn einfach bei ihnen nichts zu
suchen haben.

Ich besuche kein Kind der Staatskirche außer wenn ich ausdrücklich um einen Besuch angegangen werde. Warten Sie also doch auch, bis die Renitenten die in einer sehr deutlichen unmißverständlichen Erklärung dem Herrn Pfarrer Reiß gegenüber ihre Scheidung von der Staatskirche ausgesprochen haben, ein gleiches Verlangen an Sie richten. Sollten diese Zeilen, welche in Unterstellung eines gewissen Zartgefühls*) auf Ihrer Seite geschrieben sind, ihren Zweck verfehlen, so würden die Renitenten zu Widdershausen, welche nicht fleischlicher Waffen sich bedienen möchten, genöthigt sein, durch eine von ihnen allen unterzeichnete und dann auch der Oeffentlichkeit zu übergebende Aufforderung an Sie gegen etwaige Zudringlichkeiten sich sicher zu stellen. Uebrigens lade ich Sie hierdurch ein, an irgend einen der nächstfolgenden Sonntage einmal einen unserer Gottesdienste zu besuchen, welche des Nachmittags gegen halb drei Uhr ihren Anfang nehmen. Da mögen Sie denn, nach Beendigung desselben, wozu ich Ihnen hierdurch ausdrückliche Erlaubnis gebe, meiner Gemeinde das Wesen der Staatskirche in meiner Gegenwart auseinandersetzen, denn wenn Sie sich wirklich stark genug fühlen, "mit dem Worte die Renitenten zu vernichten", so dürfen Sie als ehrlicher und wahrheitsliebender Mann wohl auch geneigt sein, dies in Gegenwart eines renitenten Pfarrers fertig zu bringen.
Sehr angenehm wäre es mir sowohl als meiner Gemeinde, bei dieser Gelegnheit Ihr Urtheil über diejenigen Pfarrer zu vernehmen, welche anstatt jede Sünde und jedes Unrecht nach Gottes Gesetz zu richten, also Gottes Zorn und Strafe darüber zu verkündigen, die Sünde und das Unrecht im Kleinen und im Großen, besonders aber das Unrecht gegen die Kirche des Herrn Jesu Christi nicht allein schweigend hinnehmen, sondern auch noch gar gut heißen, und dem Unrecht als Werkzeuge sich zur Verfügung stellen, gleichwohl aber das Evangelium auf solchem
Grunde verkündigen und alle Lehren der Bekenntnisse orthodox so zu sagen von den Fingern abwickeln können, also zwischen der Sünde und dem heiligen Gott, zwischen Unrecht und Recht, zwischen Hölle und Himmel, zwischen Belial und Christus, zwischen Antichristenthum und Christenthum eine Brüderschaft zu stiften geneigt sind. Damit sie im
Voraus über meine Stellung keinen Augenblick im Zweifel sind, theile ich Ihnen dieselbe mit, indem ich das Wort des Apostel Paulus anführe: "Aber so auch wir oder ein Engel vom Himmel" (in honigsüßer, das Ohr des Weltmenschen kitzelnder Sprache) "euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht." (Galat. 1, 8.*)
Ergebenst
Pf. Pfeiffer, renit. Pfarrer

*) Leider habe ich mich darin geirrt, denn der Herr Pfarrvikar trotz diesem Briefe, den er übrigens sofort an das königliche Gesammtkonsistorium zu Kassel abgeschickt hat, alsbald schon wieder einmal eine renitente Familie besucht, um die Eltern zu bewegen, ihr neugeborenes Kind nicht von mir, sondern von ihm taufen zu lassen.
Dem ersten Besuche, bei welchem er eine sehr bedeutende Niederlage erlitten hat, folgte ein zweiter in Abwesenheit des Hausvaters, und diesem zweiten ein dritter, nachdem das Kind von mir getauft worden
war, wiederum in Abwesenheit des Vaters. Sehr beschämend, meine ich, mußte es für einen studierten Mann, einen Geistlichen sein, von schlichten einfältigen Christen und nun gar von Frauen sich mit Gottes Wort geradezu mundtodt machen zu lassen, gleichwohl aber noch fortwährend das Bedürfnis zu empfinden, dergleichen Christen, die
ihren Frieden im Herrn gefunden haben, von diesem ihrem Wege durch allerlei Ueberredungsversuche zurückführen zu wollen.
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