Gela
Chronik 2 > Sagen
Gela, die Tochter des Hegereiters
Quelle: Es sagt aus alten Tagen. Ein Thüringer Sagenbuch
Ernst Karl Wenig, 1967 Greifenverlag zu Rudolfstadt.
Das Gelaloch war ehemals ein See, jetzt ist es ein Teich in der Nähe von Gerstungen. Den Namen hat es von Angelika, der Tochter des Hegereiters von Dankmarshausen. Von ihr erzählt die Sage:
Auf der äußersten Spitze des in der Gegend von Widdershausen und Dankmarshausen auslaufenden Säulingswaldes, die Hornungskuppe genannt, hauste einst ein mächtiger Ritter mit Namen Hornung oder Harding. Er hatte nur einen Sohn, und sein ganzes Streben lief darauf hinaus, ihn mit einer reichen Erbin zu verheiraten, um den Glanz des eigenen Hauses noch zu erhöhen.
Der alte Hornung hatte für seinen Sohn auch längst eine reiche Braut gefunden: die Tochter eines angesehenen Edelmannes, der einen Burghof in Gerstungen besaß. Als er nach langen Verhandeln die Zustimmung des alten Edelmannes erlangt hatte, kehrte er fröhlich heim und freute sich auf dem Wege nicht wenig der angenehmen Überraschung, die er seinem Sohn nun bereiten konnte.
Aber die Kinder teilen in Herzenssachen selten die Ansicht der Alten. Ritter Hornungs Sohn lächelte abweisend, als sein Vater beim Nachtdrunk mit der Neuigkeit herausrückte, und erklärte rundheraus, daß er solch ein Geschäft lieber selbst besorgen möchte.
Der Burgpfaff, der mit beim Weine saß, verdrehte bei dieser kecken Rede des Sohnes die Augen gen Himmel und faltete andächtig die Hände über seinen mächtigen Bauch. So ein undankbarer Sohn dachte er. Der alte Ritter aber schritt grollend in die Schlafkammer, und als einziger Trost blieb ihm der Gedanke, daß sein Sohn mit der Zeit schon noch vernünftig werde. Der aber hatte längst gewählt. Keine Braut von Adel hatte er sich ausgesucht, sondern Angelika, die Tochter des Hegereiters von Dankmarshausen, die wohl arm war, aber schön und gut.
Noch oft kam Ritter Hornung auf das Thema zurück, aber stets lehnte sein Sohn die Ehe mit dem Gerstunger Edelfräulein ab. Schließlich wurde der Alte wütend und schwor einen heiligen Eid, alles aus dem Weg zu räumen, was seinen väterlichen Absichten im Wege stand. Nun beobachtete der Burgpfaff, wie der junge Ritter seine Liebste heimlich besuchte, und hatte nichts eiligeres zu tun, als dem Ritter davon zu berichten. Da schlich auch der Vater dem Sohne nach. Leise wie ein Fuchs folgte er ihm durch den Wald und am Dorfe Marbach vorbei, sah er schließlich, wie sich der Junge heimlich ins Haus des Hegereiters in Dankmarshausen stahl. Der Ritter trat an das niedrige Fenster, und die süßen Worte, die er dort hörte, gaben ihm vollen Aufschluß über die hartnäckige Weigerung seines Sohnes, das Edelfräulein zu ehelichen.
Ritter Hornung rannte spornstracks auf das Schloß zurück und berichtete dem Hauskaplan, was er gesehen hatte. Er bat den Pfaffen um einen Rat, wie das drohende Unheil abgewendet werden könnte. Nachdem der Pfaffe dreimal den Becher geleert hatte, wußte er einen Ausweg. Seiner Meinung nach konnte nur eine höllische Zauberei oder ein Liebestrank den Junker in die Liebe zu der Niedriggeborenen verstrickt haben. Folglich müsse man nach dem Mädchen fahnden und sie als Zauberin einem Gottesgericht überantworten. Nur dadurch könne der junge Ritter aus der Verstrickung erlöst werden. In seinem Zorn ging der Ritter auf diesen Vorschlag ein. Jedoch wurde die Ausführung seines Planes verschoben, weil der Jungherr am folgenden Tage nach Erfurt zu einem Turnier reiten wollte, das Kaiser Friedrich ausgeschrieben hatte. In der Zwischenzeit versicherten sich Ritter und Kaplan der Unterstützung des Abtes von Hersfeld. Der Junker verbrachte den Abend bei Angelika und nahm leichten Herzens Abschied, obwohl sich zu dieser Stunde das Gewitter über ihren Häuptern schon zusammenzog. Auf dem Wege nach Erfurt dachte der Junge nur an seine Liebste, und vor Sehnsucht nach ihr verließ er das Turnier schon eine Woche früher. Die schönen Augen der Frauen und Mädchen, die dort versammelt waren, fesselten ihn nicht. Die Augen Angelikas riefen ihn unwiderstehlich in die Heimat zurück.
Als er in der Frühe des Morgens die Anhöhe erreichte, die einen freien Blick in das Werratal gewährte, bemerkte er auf dem Blachfeld bei Gerstungen eine unübersehbare Menschenmenge, der immer neue Gruppen zuströmten. Der junge Ritter trieb sein Pferd zu immer größerer Eile an und hielt nicht eher, bis er den letzten Nachzügler erreicht hatte. Der berichtete ihm die Hegereiterstochter Angelika sei zum Gottesurteil im See verurteilt worden. „Wer wagt diese Lüge!“ rief er mit einer Stimme, die keinem Menschen zu gehören schien, so daß die Umstehenden scheu zurückprallten, und spornte seinen Rappen zu neuer Eile. In einer Staubwolke stob er dahin und erreichte bald die dichte Menschenmauer. „Haltet ein Mordknechte!“ rief er, und da brach das Pferd unter ihm zusammen. Er eilte zu Fuß weiter. Die Wogen des Volkes drohten ihn zu ersticken, er brach sich mit seinem Schwert Bahn und erreichte in dem Augenblick das Ufer, als Gela von einem Kahn aus mitten im See den grünen Fluten übergeben wurde.
Vergebens herrschte er die Richter an, vergebens bat er seinen Vater um Erbarmen, vergebens reckte er die Arme zum Himmel. Da sprang er ins Wasser und erreichte das Mädchen auch, aber nun zog die Rüstung des Junkers beide unwiederstehlich in die Tiefe. Der See gurgelte, öffnete seinen tiefen Schlund, und beide sanken hinab.
Der alte Ritter konnte sich kaum auf den Beinen halten, er verfluchte sein Haus, das Gottesgericht, den Abt und die ganze Klerisei, kletterte auf sein Roß und jagte heimwärts. Zu hause raffte er das Nötigste zusammen, ritt gen Erfurt und schloß sich dem Heer ins Morgenland an. Er kehrte nicht wieder zurück.
So kam es, das die Burg allmählich verödete und zerfiel. Niemand wollte sie wieder aufbauen. Räuber trieben in den Ruinen und in der Umgebung ihr blutiges Handwerk. Bis in das 16. Jahrhundert hinein war deshalb die Hornungskuppe der Schreckendes ganzen Werratales.