HZ 1953
Chronik 3 > Erdbeben
Seite 3 – Nummer 45 HERSFELDER ZEITUNG Montag, 23. Februar 1953
Bilder, Möbel, Wände wackelten, Fußböden schwankten, Uhren blieben stehen
Erdbebenartige Erscheinungen brachten Gebäude zum Einsturz
Bilder, Möbel, Wände wackelten, Fußböden schwankten, Uhren blieben stehen
Erdbebenartige Erscheinungen brachten Gebäude zum Einsturz
Elf Personen im eingestürzten Wohnhaus unverletzt – Erdrisse in Widdershausen – Zollbeamter brach ein Bein – Explosionsartige Erscheinungen bei Wintershall – Bevölkerung rannte vor Entsetzen auf die Straße – Kinder schrien in den Betten – Keine Todesopfer – Landrat telefonierte mit Wiesbaden
B a d H e r s f e l d. Starke erdbebenartige Erscheinungen brachten am Sonntagabend gegen 21:18 Uhr in Widdershausen das Wohnhaus des Arbeiters Georg Trieschmann und eine Scheune zum Einsturz. Wie durch ein Wunder blieben die in dem Wohnhaus befindlichen Personen unverletzt. An mehreren Stellen des Ortes entstanden Erdrisse bis zu einer Breite von 20 cm. Ein auf einem Dienstgang befindlicher Zollbeamter brach bei dem Beben ein Bein. Er war völlig verstört und konnte keine Aussagen darüber machen, wie es zu seinem Unfall gekommen war. Die Unfallstelle wurde von der Gendamerie abgesperrt. In zahlreichen Gemeinden des Kreisgebietes, in Bad Hersfeld selbst und einigen Orten des Kreises Rotenburg wackelten Bilder an den Wänden, die Lampen schaukelten wie von einem starken Windstoß bewegt hin und her, Möbel bewegten sich wie von unsichtbarer Hand berührt, und Fußböden schwankten. Kinder wurden in den Betten wach und schrien nach Ihren Eltern. In einigen Orten war die Bevölkerung von Entsetzen erfüllt und rannte auf die Straße. Sie konnte sich erst in den späten Nachtstunden beruhigen.
Auszug aus den Hersfelder Volkszeitung vom 24.02.1953
Zur gleichen Zeit stieg aus dem Grubenschacht bei der Gewerkschaft Wintershall in Heringen eine starke Salzrauchfahne in die Höhe. Kurz zuvor war Schichtwechsel, die Bergleute aus- und die Ablösung noch nicht eingefahren. Für die Mitglieder der Katastrophentrupps wurde Alarm gegeben, da eine Grubenexplosion nicht ausgeschlossen schien. Menschenleben sind nach den bisherigen Meldungen nicht zu beklagen, da sich im Augenblick des Bebens niemand in der Grube befunden haben soll. Nach Mitteilung von Bürgermeister Konrad Laun (Heringen) von gestern abendtrifft es nicht zu, dass sich – wie gerüchteweise verlautete – in 600 m unter der Erde eine Explosion ereignet hat. Die Sprengstofflager sollen unversehrt sein. Pulvergase wurden nicht bemerkt.
Landrat Frank Hoernigk hat sich nach Rücksprache mit der Werksleitung an den Regierungspräsidenten in Kassel gewandt und anschließend den hessischen Ministerpräsidenten unterrichtet, da, durch die erdbebenartigen Erscheinungen vor allem im Werratal Fragen entstanden sind, die nur auf Landesbasis geklärt werden können.
Das Ausmaß des Sachschadens ist noch nicht abzusehen. Nach spät in der vergangenen Nacht eingegangenen Meldungen sind beim Kaliwerk in Heringen die Schachtröhren frei und die Pumpen arbeiten. Von der Werksleitung waren gestern abend keine Auskünfte zu erhalten, da noch kein klarer Überblick möglich war und die verantwortlichen Stellen mit der Einleitung und Durchführung der erforderlichen Maßnahmen vollauf beschäftigt waren.
Aus unbestätigten Meldungen wurde zur gleichen Zeit Lichtschein von dem Kaliwerk Alexandershall bei Berka in der Zone bemerkt, von wo früher eine unterirdische Verbindung mit dem Kaliwerk Wintershall bestand. Inwieweit sie heute noch existiert, ist nicht bekannt.
Bei den erdbebenartigen Erscheinungen handelte es sich um zwei Stöße. Der erste wurde gegen 21:18 Uhr wahrgenommen, während der zweite – hier differieren die Angaben – zwischen 21:28 und 21:36 registriert wurde.
Nach den bisher vorliegenden Meldungen haben sich die größten Auswirkungen in Heringen, Wölfershausen, Bebra und Hönebach gezeigt. In Rotenburg und Hünfeld wurde es bemerkt. In Allmershausen zuckte lediglich das Licht in der fraglichen Zeit. In Friedewald und Schenklengsfeld wurden kaum Wahrnehmungen gemacht.
Auszug aus den Hersfelder Nachrichten vom 24.02.1953
Die Bad Hersfelder Wetterstation meldete Erdstöße von einer Dauer von 30 Sekunden. Die Wahrnehmungen waren im Rathaus sehr stark. Die Warte nahm zuerst ein tektonisches Beben an, konnte aber noch keine abschließenden Informationen geben.
Sämtliche Stellwerke der Bundesbahn des örtlichen Bezirks haben die Erscheinungen registriert. Das Gleiche gilt für mehrere Dienststellen der Kreisbahn. Der Leiter der Hersfelder Stadtwerke, Direktor Hermann Seidel berichtete, die Umspannungsleitungen hätten angesprochen.
Bis Mitternacht waren sämtliche Telefonapparate der „Hersfelder Zeitung“ ständig in Betrieb. Weit über 100 Leser riefen erschrocken an und forderten Auskunft. Die erste Meldung wurde 2 Minuten nach dem Beben von Wölfershausen gegeben, als der zweite Stoß noch nicht erfolt war: „Wissen Sie schon ? Ein Erdbeben, alles schwankte oder wackelte. Die Lampen pendeln noch jetzt, wie von Geisterhand bewegt. Die Menschen sind entsetzt und rennen vor Ihre Häuser.“
Die Auswirkungen in der Stadt waren sehr unterschiedlich. Während z.B. im Landratsamt nichts bemerkt wurde, schwankte bei der Versammlung der Deutschen Partei im Sternsaal förmlich das Parkett. In vielen Gaststätten schauten die Menschen erschrocken auf. In manchen Häusern war die Situation geradezu beängstigend, wie immer wieder aus den zahlreichen Anrufen hervorging. „Die Lampe wackelt noch immer. Wir saßen ruhig im Zimmer. Da ging es los. Es war als hätte ich plötzlich Kreislaufstörungen bekommen. Einer schaute den anderen an. Wir waren alle kreideweiß im Gesicht. Die Gewichte in der Standuhr schwankten wie Kuhglocken. Die Uhr auf dem Linggplatz ist stehengeblieben.“
In zahlreichen Wohnungen blieben die Uhren stehen. Einem Polizeibeamten wurde es schlecht. Das Fernamt konnte sich ebenso wie die „Hersfelder Zeitung“ vor Anrufen nicht retten.
Stichworte aus weiteren Meldungen: „Hier ist Petersberg. Sehr starke Erdstöße. frauen wurden schwindelig. Türen und Vorhänge flogen. Lampen pendelten. Der zweite Stoß war schwächer als der erste.“
Heimboldshausen: „Erdbeben war hier stark zu bemerken.“ Heringen: „Sehr starke Erschütterungen und im Werk Wintershall soll eine große Grubenexplosion passiert sein. Die Beleuchtung schwankte auf den Straßen wie im Sturm. Bei der Gendamerie ist das Treppenhaus völlig verschoben. Im Werk sollen die Förderkörbe verklemmt sein.“ Obersteiger erklärt: „Explosion nicht durch die drei Minenkammern verursacht.“
Philippsthal: „Wir sind in unseren Sesseln hin und her geflogen.“ Bebra: „Stöße ganz toll im Rathaus gemerkt. Bürgermeister Dr. Braun aus dem Bett gefallen. Das ganze Rathaus hat vom Keller bis zum Boden gewackelt.“ Hönebach: „Die Bevölkerung ist fürchterlich aufgeregt! Weiß nicht was los ist!“
Blankenheim: „Starke erdbebenartige Erscheinungen beobachtet.“
Kein Mensch weiß sich offensichtlich den Grund für die Erscheinungen zu erklären. „Erdbebenartig“ werden sie bisher von den amtlichen Stellen genannt. Das Vorkommnis von gestern abend, das überall bis in die späte Nacht diskutiert wurde, rangierte heute morgen sogar vor den Sportnachrichten und wird immer noch lebhaft besprochen. Eine ausreichende Erklärung für die merkwürdige Erscheinung, die große Bevölkerungsteile in Angst und Schrecken versetzte, liegt bis zur Abfassung dieses Berichtes amtlich noch nicht vor.
Schaulustige in der Gemarkung Widdershausen nach dem Gebirgsschlag im Februar 1953