Werramühle
Chronik 3 > Werra
Geschichte der Mühlen
Bereits gegen Ende der Jungsteinzeit ca. 2000 v. Chr. erforderte der schon damals hoch entwickelte Ackerbau eine geeignete Technik, um die Körnerernte aus den damaligen Getreidearten zu Schrot weiterzuverarbeiten. In Gebrauch waren verschiedene Arten von Handmühlen und Reibesteinen sowie in keltischer Zeit Schwenkmühlen, die bereits aus einem achsenzentrierten Boden- und Läuferstein bestanden und von Hand gedreht wurden.
Um die Zeitenwende eroberten römische Kohorten die keltisch-germanischen Gebiete links und rechts des Rheins. Die Besatzer brachten nicht nur den Weinbau mit in die Pfalz, sondern auch das gesamte technische Wissen der damaligen Zeit. Dazu gehörte auch eine weiterentwickelte Mühlentechnik, welche sich später mit der von hier ausgehenden Christianisierung über ganz Deutschland ausbreitete.
Werraverlauf in Widdershausen 1903, am rechten Bildrand die alte Werramühle und das alte Wehr vor dem Umbau zum Kraftwerk, am alten Wehr ist auch die Fischleiter zu erkennen, an der Mühle findet man die Floßschleuse, Aalfang, Mahlgerinne und das Ölmühlengerinne
Die große Neuerung bestand darin, mit Hilfe von Wasserrad und geeigneter Kraftübertragung auf die Mahlsteine den Energieträger Wasser so zu nutzen, daß die Knochenarbeit des Handmühlenbetriebs überflüssig wurde. Damit konnte auch dem Nahrungsbedarf der ständig wachsenden Bevölkerung besser entsprochen werden.
Sehr schnell entwickelten sich zur Römerzeit außer den Getreidemühlen auch Wassertriebwerke zum Sägen von Holz und wahrscheinlich auch solche zum Mahlen und Stampfen von Ölfrüchten.
In späteren Zeiten baute man Schleifmühlen zum Schärfen der Werkzeuge und landwirtschaftlichen Geräte, Walkmühlen zur Gewinnung von wetterfesten Lodenstoffen, Hanfreiben zur Herstellung von Seilen, Lohstampfen zur Zerkleinerung der bei der Ledergerbung benötigten Eichenrinde. So entwickelten sich durch die Jahrhunderte immer mehr Mühlentypen.
In den Grundriß der alten Werramühle von Georg Schimmelpfennig in Widdershausen hat man mit roter Tinte das Turbinenhaus der neuen Zentrale eingezeichnet, 1904
Viele Klöster nahmen das Wasserrecht für sich in Anspruch und verlangten von den Mühlenbesitzern Abgaben als Wasserpacht. Ebenso erhoben auch die weltlichen Herrschaften Grundsteuer, u. a. in Form von Naturalabgaben. So mußten viele Müller ein oder mehrere Schweine und Ochsen mästen, außerdem Geld- und Getreideabgaben leisten. Bauern, welche herrschaftliche Äcker in Erbbestand (gepachtet) hatten, waren gebannt (verpflichtet), das dort geerntete Getreide in den der Herrschaft eigenen Bann- und Backmühlen mahlen und auch dort ihr Brot backen zu lassen. Als Backlohn durften die Müller zwischen 9 und 12 Prozent des Mahlgutes einbehalten und als Handelsmehl wieder weiterverkaufen.
In der Pfalz hatten wir vor 150 Jahren nach Angaben des bekannten Mühlenforschers F. WEBER rund 730 Wassermühlen mit 1751 Mahlgängen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung ein Mühlensterben ein, das sich bis 1970 fortsetzte. Der Energieträger Wasser, abhängig von Jahreszeit und Niederschlägen, wurde weitgehend ersetzt durch Dampf-, Diesel- und Elektroenergie. Dem Verdrängungswettbewerb fielen die meisten der kleinen Mühlen zum Opfer. Heute werden die großen Mengen Getreide, die der moderne Ackerbau ermöglicht, in Großmühlen zu vielfältigen Produkten verarbeitet. Damit ist eine fast zweitausend Jahre alte ländlich-bäuerliche Tradition untergegangen.
Das Wasserkraftwerk Widdershausen 1904, Querschnitt durch das Radgerinne und die Gerinnefachbäume, sehr schön zu sehen auch die Verankerung durch die Fachbäume
Manche der ehemaligen Mühlengebäude sind heute privat genutzt und liebevoll restauriert. Lassen wir auch die Erinnerung an die Müller nicht verloren gehen, wie sie oft weitab von dörflichen Ansiedlungen, ein eigenbrötlerisches Dasein führten zwischen harter Arbeit und abgeschiedener Nachdenklichkeit, oft heimgesucht von Schicksalsschlägen und Naturkatastrophen, raubendem und plünderndem Kriegsvolk, Eisgang, Hochwasser und Feuersbrunst. Häufig haben Müller ihre Hauschroniken geführt und der Nachwelt manches überliefert an geschichtlichem Wissen.
Die alte Heringer Werramühle vor dem Umbau 1924
Die neue Heringer Werramühle nach dem Umbau 1927
Ausschnitt aus der Generalstabskarte des Johannes Schleenstein von 1702-1705, neben der Widdershäuser Werramühle sind die beiden Werrainseln, die heute noch vorhanden sind, eingezeichnet
Im Sommer 1994 wird durch die EAM die ehemalige Zentrale in Widdershausen reaktiviert und als größtes Laufwasserkraftwerk der EAM mit einer Jahresleistung von 3,5 Milionen Kilowattstunden in Betrieb genommen. Zwei Kaplan-Rohrturbinen sind kathodisch gegen das agressive salzhaltige Werrawasser geschützt. Die alte Fassade der Zentrale blieb erhalten das Betriebsgebäude wurde neu errichtet. Nach über 20 Jahren wird wieder Strom aus dem Werrakraftwerk durch die Staustufe an der Werra gewonnen.
In der Generalstabskarte des Johannes Schleenstein von 1702-1705 sind neben der Widdershäuser Werramühle noch zwei Werrainseln eingezeichnet. Die Werramühle stand auf dem Gelände der heutigen Staustufe bzw. der Zentrale. Wird aus Wartungsgründen die Staustufe bzw. das Wehr gesenkt sieht man noch heute eine der ehemaligen Werrainseln und Reste der Grundmauern einer alten Werramühle.
Quelle:
HStAM, Staatsarchiv Marburg, Bestand 56 Schmalkalden Acc. 1987_50 Nr. 670
HStAM, Staatsarchiv Marburg, Bestand 40 a Rubr. 15 Nr. 494, Anlegung eines Schlaggangs durch Andreas Winkelstein bei seiner Mühle zu Widdershausen, 1722-1724
HStAM, Staatsarchiv Marburg, Bestand 40 a Rubr. 15 Nr. 1649, Gesuch des Müllers Schäfer aus Kleinbreitenbach (Thüringen) um Erlaubnis zur Anlegung einer Mühle zu Widdershausen, 1788-1789
HStAM, Staatsarchiv Marburg, Bestand 100 Nr. 2202, Mühlenbetrieb in Widdeshausen, 1833-1835
Das heutige Betriebsgebäude, die Werrainsel und das Wehr des Wasserkraftwerks in der Werrastraße 12 in Widdershausen 2017