Renitenz
Chronik 2 > Kirche
Die erste Kirche seit 1877 der SELK Gemeinde in Widdershausen
Die neue Kirche der SELK-Gemeinde, seit 1950 die St. Thomas Kirche
Die hessische Renitenz von 1873
und die Gründung der evan.-luth. Gemeinde in Widdershausen
Der Kirchenkampf des Jahres 1873, der zur Bildung der sogenannten „renitenten“, der selbstständigen evangelisch-lutherischen Gemeinden in Hessen, eben auch der Gemeinde Widdershausen, führte, hatte eine Vorgeschichte.
Im Jahre 1873 veranlasste der preußischen Kultusminister durch Kabinettsordre des Königs von Preußen die Zusammenlegung der drei Kirchenverwaltungen (Konsistorien) Marburg, Kassel und Hanau zu einem Gesamtkonsistoriumin Kassel. Dies bewirkte nach den konfessionellen Auseinandersetzungen um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine weitere schwere Krise in der kurhessischen Kirche, der Protest vom 28. Juli 1873 führte zur Amtsenthebung von 43 Pfarrern.
Eine Gruppe niederhessischer Pfarrer um Metropolitan Jakob Wilhelm Georg Vilmar gründet im Widerstand gegen die preußische Neuordnung der Kirchenverwaltung die "hessische Renitenz".
Über der Frage, ob die von Landgraf Moritz eingeführten sogenannten Verbesserungspunkte (Kirchenordnung von 1657) und der Name »reformiert« beibehalten werden solle, spalteten sich die renitenten niederhessischen Gemeindenin eine Gruppe um Wilhelm Vilmar in Melsungen und in eine Gruppe um Friedrich Wilhelm Hoffmann in Homberg.
Auf einem Missionsfest des Jahres 1874 in Melsungen trafen der Bürgermeister Adam Thänert und der Küfer Georg Mötzing aus Widdershausen auf den renitenten Pfarrer Friedrich Pfeiffer, der im Dezember 1873 abgesetzt worden war. Aus dieser Begegnung erfolgte eine Einladung und ein erster Besuch des Pfarrers am 12.09.1874 in Widdershausen.
An diesem Treffen nahmen der Maurer und Kirchenälteste Georg Schneider, der Bürgermeister Adam Thänert und der Küfer und Kirchenälteste Georg Mötzing, der Sattler Jakob Reichard, der Bauer Georg Stephan und der Schuhmacher Budesheim teil. Diesem Treffen folgten weitere „Versammlungen“ in Widdershausen, diese hatten eine Anzeige durch Lehrer Ickler aus Widdershausen oder vom Pfarrer Reiß in Obersuhl, dem Widdershäuser Pfarrer zur Folge. Pfarrer Pfeiffer wurde in einer Verhandlung vor dem Königlichen Amtsgericht zu Friedewald am 24.02.1875 freigesprochen, da ein „genügender Verdacht einer strafrechtlich zu verfolgenden Handlung“ sich nicht ergeben hatte.
Die Kirchenältesten gaben nach einer hitzigen Unterredung mit Pfarrer Reiß ihr Amt als Kirchenälteste auf, womit eigentlich schon der erste Schritt zur Lossagung von der Landeskirche getan war. Ebenso wurden die beiden Bürgermeister Thänert in Widdershausen und Ruch in Heringen von dem Landrat Auffarth nach Hersfeld beschieden und legten ebenfalls ihr Amt als Bürgermeister nieder, nachdem Auffahrth sie wiederholt, jedoch vergebens, zur Fernhaltung von der Gemeinschaft mit den Renitenten zu bestimmen gesucht hatte.
Im August des Jahres 1875 vor dem ersten Abendmahl durch Pfarrer Pfeiffer unterzeichneten 22 Personen aus Widdershausen und 5 Personen aus Heringen eine Erklärung, durch welche sie ihren Austritt aus der Landeskirche aussprechen.
Auch dieser Abendmahlsfeier folgte eine Anzeige durch die Gegner der Renitenten aus Widdershausen , die am 09.06.1876 vor dem Königlichen Amtsgericht in Friedewald zur Verhandlung kam. Der Staatsanwalt konnte sich mit einer Verletzung des §132 Strafgesetzbuch nicht durchsetzen und erreichte eine Geldstrafe von 15 Mark wegen Übertretung des preußischen Vereinsgesetzes, weil jener Gottesdienst, in welchem „öffentliche Angelegenheiten erörtert“ worden seien, nicht 24 Stunden vor seinem Beginn bei der Ortspolizeibehörde zur Anmeldung gekommen wäre.
Am 29.10.1875 kam es bei der Beerdigung vom ehemaligen Kirchenältesten Georg Schneider I. zu einem Eklat. Der Gendarm Gärtner aus Philippsthal verhinderte „alles Singen“ der Trauergemeinde und die Grabrede durch Pfarrer Pfeiffer. Im Versammlungslokal der Renitenten konnte die Grabrede ohne Störung bis zu Ende gehalten werden.
Zu Pfingsten 1876 zählte die neue Gemeinde schon 57 Erwachsene bzw. Confirmierte und konnte über den Schenklengsfelder Handelsjuden Meier Strauß die Bachmann’sche Hofraide in Widdershausen erwerben um darin eine „kleine Kirche“ einzurichten. Der Kauf wurde zwischen dem Ackermann Konrad Ruch IV und dem Meier Strauß über 700 Thaler mündlich abgeschlossen.
Am 17. Juli 1877 konnte der Betsaal durch Zimmermann Thornagel aus Heringen gerichtet werden.
Von Pfarrer Pfeiffer wurde ein Bericht von einigen schwerwiegenden Gottesdienststörungen im November 1876 durch Widdershäuser Jugendliche in den Hessischen Blättern und der Luthardt’schen Kirchenzeitung veröffentlicht.
Im Jahre 1884 nahm Pfarrer Friedrich Pfeiffer einen an ihn ergangenen Ruf, in dem Fürstentum Reuß ä. L. eine Pfarrstelle zu übernehmen, an und verließ Widdershausen.
Von dem alten Kirchlein in Widdershausen hatte die Gemeinde in einem Gottesdienst am 29.05.1950 Abschied genommen und den Neubau einer Kirche begonnen. Der Grundstein der neuen Kirche wurde am 10.08.1950 gelegt und am 21.10.1951 wurde diese eingeweiht.
Quelle: Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinde Widdershausen, Kirchenvorstand 1981